„Katalytisches Vorgehen“
Claus Friede: Bei unserem ersten Treffen in Salzau haben wir überlegt, ob es nicht sinnvoll ist, anstatt einen Text über deine Arbeit zu schreiben, ein gemeinsames Künstlergespräch zu führen. Für den Beginn unseres Gesprächs haben wir eine ganze Reihe von Begriffen und Themen, an denen wir uns entlang arbeiten können. Zum einen ist da der Begriff der Reduktion, des Komprimierens, auf den wir genauer eingehen sollten. Du hast im Vorfeld zu diesem Gespräch über ein Vorgehen gesprochen, das ich mit einem Katalysator vergleichen würde. Und du hast über deine künstlerischen Bezüge auch Beispiele aus der Kunstgeschichte genannt, die japanische und chinesische Landschaftsmalerei oder die Farbfeldmalerei von Barnett Newman, auf die du dich berufst. Wir sollten erst einmal über die Reduktion sprechen: Was bedeutet sie und welche Filterinstrumente benötigst du dafür? Du scheinst ja an bestimmten Punkten durchaus auch assoziativ vorzugehen, du kommst von Begriffen auf andere Begriffe und auch auf, ich nenne dies einmal: vereinfachte Zeichen. Du brichst die Inhalte quasi herunter, bis du einen bestimmten Kern erreichst.
Iris Schomaker: Mir geht es wirklich genau um diesen Kern. Ich habe viele Arbeiten, die klar figürlich sind und trotzdem auch starke abstrakte Qualitäten haben. Es gibt zwar eine Farbigkeit in meinen Bildern, doch auf den ersten Blick wirken viele eher schwarz-weiß, und durch die Setzung der Flächen und Reduzierung der Formen und die direkte und manchmal fast rohe Arbeitsweise erreiche ich eine Konzentration auf etwas Abstraktes.
Das Pferd ist auf dem Bild aber doch als Pferd gemeint, es ist kein Surrogat oder Symbol, das nur auf etwas außerhalb seiner selbst verweist, oder?
Ja und nein. Es geht bei dem Bild nicht um ein bestimmtes Pferd, das im Wasser steht, sondern es geht um die Idee eines Pferdes, das im Wasser steht, und um das, was mit dem Betrachter und dem Raum, in dem das Bild hängt, geschieht.
Verstehe ich es richtig, dass du zwischen Bild und Betrachter Ebenen einschiebst?
Ja, man schaut im Grunde auf das Bild und sieht: Das ist ein Pferd. Wenn der Betrachter dann anfängt genau zu schauen, kommt sehr schnell die Frage: Ist das überhaupt ein Pferd? Vom Anatomischen her stimmen meine Motive oft nicht. Und trotzdem fügt sich alles zusammen.
Es kommt mir so vor, als wären die Details zwar einmal dagewesen, aber als hättest du sie wegradiert, fortgenommen. Das Hauptmotiv bleibt solitär in der Welt zurück, ist auf das Wesentliche reduziert, und der Aspekt des Innehaltens kommt hinzu: Die Einzelfiguren im Raum, im entleerten Raum, wirken allein, vereinzelt und manchmal einsam, zumal du auch nie Personengruppen malst oder zeichnest.
Ja, es geht schon um ein klares Bei-sich-sein und um eine „andere“ Welt, die in ihrer Ruhe und Intensität irritiert.
Was kannst du mit dem Begriff Abstraktion anfangen? Ich frage das deshalb, weil ich glaube, dass sich durch die „Entschleunigung“ des Betrachtens und die Reduktion der Motivik ein gehöriger Abstraktionsgrad einstellt.
Auf alle Fälle, das ist ein wichtiger Punkt innerhalb der Arbeit. „Echte“ Darstellung interessiert mich nicht. Mich interessiert in der Hinsicht nur Fiktion und Abstraktion.
Dennoch möchte ich einen Moment bei der konkreten Motivik bleiben. In deinen Bildern spielt die Farbe weiß eine wichtige Rolle sowie leerstehende, unbearbeitete Flächen, die eine Assoziation des Winterlichen, Kalten, Nordischen impliziert, und es gibt ebensolche Hinweise, was die Kleidung der Protagonisten auf den Bildern angeht, mit Mützen und Pullovern…
Die Mützen sind ja auch eine Form der Reduktion, genau wie Schnee, der alle Details einer Landschaft überdeckt.
Das klingt für mich so, als ob deine Arbeiten einen permanenten Winterschlaf vollziehen. Alle Funktionen sind reduziert und die Bildgestalt überbrückt eigentlich Zeit, verharrt im Stillstand, was sich auch auf den Betrachter überträgt.
Nein. Mir geht es nur um einen einzigen kurzen Augenblick, nicht um eine eingefrorene, andauernde Situation. Selbst wenn man meint: Im vergangenen Jahr bin ich glücklich gewesen, so meint man dann doch nur ganz kurze Augenblicke oder nur einen einzigen Moment, der aber das ganze Jahr überstrahlt und weiterwirkt.
Du sprichst zwar gerade von Glück, aber mir kam im Ausdruck der Gesichter und in den verharrenden Posen auch so etwas wie Melancholie in den Sinn…
Ich würde nicht sagen, dass meine Arbeit melancholisch ist. Ich assoziiere mit dem Begriff etwas Trauriges, Verschwommenes und Depressives. Vielleicht kommt der Eindruck daher, dass die Arbeiten unspektakulär sind und sich deutlich von der realen, bunten und lauten Welt absetzen.
Ich habe öfters in Texten über deine Arbeit gelesen, dass deine Figuren androgyn seien. Ich gestehe, ich sehe die dargestellten Personen nicht so. Wie definierst du deine Figuren?
Ich bezeichne sie auch als androgyn. Sie haben ein klares Geschlecht, aber durch die reduzierten, eher jungen, fast alterslosen Körper und Gesichter haben sie häufig sowohl etwas Männliches als auch etwas Weibliches.
Genau! Es sind durchweg junge Menschen. Welche Gründe hat das? Und ist es nicht möglicherweise eine gesellschaftliche Konvention, die du bedienst, zu glauben, zwischen 20 und 30 sei das einzig mögliche Idealalter?
Ich halte es nicht für eine gesellschaftliche Konvention. Letztlich ist es so, dass Menschen in der Zeit zwischen 20 und 30 ihr Selbstverständnis ausprägen. Das Bild, das man von sich selbst hat, ist oft unabhängig vom tatsächlichen Alter. Und es ist ja auch ein besonderes Alter: Man ist unabhängig, alles ist offen, alles scheint möglich. Das Alter eignet sich einfach sehr gut als Projektionsfläche und das nutze ich für meine Arbeit.
Welche Themen liegen dir für deine Arbeit denn noch am Herzen?
Es gibt neben den Figuren Berge, Bäume, Seen, Schnee, Regen, eigentlich jede Form von Wasser.
Und die Landschaftsdarstellungen lösen dann auch andere Emotionen aus, als es die Figurendarstellungen in deinen Bildern tun?
Ja. Und sie lösen auch anders Emotionen aus. Sublimer, weil sie nicht so konkret sind wie die Figuren.
Und genau das ist einer der Gründe, warum ich die Kombination von Landschaft und Figuren in deinen Arbeiten auch so gerne mag – das Wechselspiel, das entsteht.
Ja, ich habe die Motive lange getrennt und kombiniere sie erst seit kurzer Zeit. Mir eröffnet das ganz neue Möglichkeiten und es ist beruhigend, dass sie zusammen funktionieren.
Das finde ich eine gute künstlerische Entscheidung! Eine andere gute Entscheidung ist für mich deine Formatwahl. Du hast einerseits großformatige Arbeiten von gut 3 Metern – was fehlt, ist ein Mittelformat, das aber gar nicht als fehlend empfunden wird – und dann die kleinen Formate, häufig DIN A4. Bei Dir gibt es also zum einen das tagebuchartige A4-Format und dann das körperbezogene Großformat, zumal ich glaube, dass es sehr entscheidend ist, welchen Abstand der Betrachter zum Bild einnimmt. Nein, welche Nähe er zum Bild einhält und wie er in den Bann gezogen wird. Warum also diese beiden Formate für deine Werke?
Du bringst es mit dem „in den Bann ziehen“ auf den Punkt. Durch die Art der Komposition und das Anschneiden der Figuren gehen Bildraum und der Raum des Betrachters bei den großen Formaten ineinander über. Durch die Größe der Bilder ist es schwer, sich ihnen körperlich zu entziehen. Und das ist für mich ein wichtiger Aspekt. Es gibt durchaus auch Mittelformate. Das sind Kopfdarstellungen, die in dem Format sehr intensiv werden und im Raum fast ähnliche funktionieren wie eine große Arbeit. Die kleinen Formate sind einfach unmissverständlich klein. Ich bin mit dem kleinen Format freier, Dinge auszuprobieren.
Hier schließt sich also ein wenig der Kreis zu einem Künstler, den ich zu Anfang unseres Gespräches erwähnt habe, Barnett Newman und die Farbfeldmalerei. Denn auch bei seinen großformatigen Werken war es ihm wichtig, dass die Ausstellungsbesucher dicht an dem jeweiligen Werk entlang gehen und nicht viel Abstand haben, um so weit zurück zu gehen, dass sie das Bild im Ganzen sehen konnten. So kann man sich auch vor deinen Bildern bewegen und aufhalten. Ich meine nicht im Sinne von magisch angezogen werden, sondern man integriert sich selbst in das Bild. Lass uns auch über deine Arbeitsweise sprechen, über das, was wir nicht unbedingt in deinen Bildern sehen. Benutzt du Vorlagen, Fotografien, vielleicht Texte, eigene und fremde?
Alles ist zugelassen. Ich gehe offenen Blickes durch die Welt, fotografiere viel und sammle alle möglichen Eindrücke. Die Fotografien und das weitere Material sammle ich dann mehr oder weniger geordnet in Kisten. Ich nehme sie immer wieder zur Hand und blättere sie durch. Das ist mein Fundus, der sich ständig erweitert.
Welche Entscheidungsmechanismen müssen greifen, um da nun etwas Neues hinzukommen zu lassen?
Etwas Neues kommt meistens dann dazu, wenn ich über längere Zeit mit einer Arbeitsgruppe beschäftigt war und im Kopf relativ leer, dadurch aber auch offen für Neues bin. Das ist ein Moment des Stockens, der produktiv ist. In solchen Situationen schaue ich mir viel an, gehe in Ausstellungen, lese viel, höre intensiv Musik.
Der Schaffensprozess läuft also auch über Schrift und Sprache?
Ja, es gibt immer wieder Literatur und Musik, die mir für meine Arbeit unmittelbar Input geben.
Bedeutsam ist für mich auch noch, dass du keine Orte beschreibst, sondern Räume. Es ist nie konkret eine bestimmte, benennbare Landschaft, ein Berg, ein Baum oder eine Person gemeint, und dadurch bekommt das oder der Dargestellte eine allgemeine Gültigkeit.
Hier taucht die Idee des kollektiven Gedankenguts wieder auf. Ein Berg an sich ist ein starkes Bild, das viele Assoziationen auslöst und Symbolcharakter annimmt. Es interessiert mich nicht, ob der Berg die Zugspitze sein könnte. Mir geht es um die Idee des Berges, eine Art Urbild.
Lass uns bitte zum Schluss kurz noch auf die chinesische und japanische Kunst kommen. Wie bist du denn darauf gekommen?
Es gibt lauter Referenzen der klassischen asiatischen Kunst bei Generationen von bildenden und darstellenden Künstlern und Architekten des letzten Jahrhunderts. Ich habe aber auch eine ganz persönliche Affinität zu dem Thema: Für mich ist Kunst, die intensiv ist und dennoch mit einfachen Mitteln auskommt, wichtig. Dazu gehören die Kunst des Mittelalters und bestimmte Künstler der Italienischen Renaissance genauso wie die Kunst der 1960er und 70er Jahre.
Claus Friede im Gespräch mit Iris Schomaker, Berlin 27.01.2009