Gemalte Distanz
Ich male etwas und ich sehe es. (Jasper Johns)
Mützen, Tücher oder Schals umhüllen Gesichter, formen gemalte Flächen, die einen Kontrast zu den scharf gezeichneten Konturen von Augen, Nase und Mund bilden. Wenn Iris Schomaker ihre Bilder als Ikonen bezeichnet, sind es nicht die ursprünglichen bedeutungsvollen Sujets auf den Bildtafeln des Mittelalters oder der frühen Neuzeit, die die Künstlerin im Blick hat, sondern deren formale Qualitäten: Ikonen weisen einen spezifischen Kanon von Gestiken und Mimiken auf und es werden frontale bzw. axiale Darstellungen bevorzugt. Diese klar strukturierten Formen sollen betonen, dass es sich um kein Abbild der Wirklichkeit handelt. Rein formal betrachtet handelt es sich, trotz der zum Teil identifizierbaren Gestalten, um Abstraktionen, versteht man darunter ganz generell das Überführen in etwas Allgemeines durch Reduktion.
Iris Schomakers Gesichter, Figuren und Landschaften sind Arbeiten an der Abstraktion mithilfe ikonenhafter Formen. In diesem Spannungsfeld setzt sie sich mit grundlegenden malerischen Fragestellungen auseinander, indem sie Parameter der Malerei gegeneinander abwägt und miteinander kombiniert: Zeichnung und Farbe, Fläche und Raum.
Ihre anonymen Portraits, auf Holz gemalt und als Objekte an der Wand hängend, erinnern auch in ihrem Präsentationsmodus an Ikonen. Allerdings ist das weitaus prominentere Trägermaterial ihrer Malerei Papier; von der 2,40 m hohen Rolle werden dementsprechend große Formate möglich. Zunächst zeichnet Iris Schomaker Konturen von Körpern mit Kohle, wobei charakteristisch ist, dass die Suchbewegungen der Linien, die den Weg bis zur im Format sitzenden Form dokumentieren, stehen bleiben und mit dem Farbauftrag eine Verbindung eingehen. Dieser wiederum geschieht in dünnen Schichten von Aquarell, Gouache, Acryl mit einem Finish aus Öl. Wenn zu viel Farbe aufgetragen wurde, wird diese wieder abgeschmirgelt, -gewischt oder –gewaschen. Willem De Kooning hat in seinen Aufzeichnungen beschrieben, wie er sich stunden- und sogar tagelang mit einem weiblichen Knie beschäftigen kann – „es ist schon sehr komisch, wenn man am Knie einer Frau hängen bleibt“ – er beschreibt einen Prozess, der auch bei Iris Schomaker bedeutsamer Teil des fertigen Bildes ist, wenn sie sichtbar Figuren in Position rückt.
Wenn allerdings De Kooning in dem pastosen Farbauftrag seiner Frauen, in seiner Arbeit mit der Farbe als Fleisch, (erotische) Nähe durch den Eindruck der Berührbarkeit schafft, so sucht Iris Schomaker die Distanz. Schicht um Schicht legt sie lasierend Farbschleier über das Bild. Ihre Palette besteht überwiegend aus Schwarz und Weiß, angereichert mit Nuancen von Blau oder Grün. Die Bilder in denen Badende am Strand stehen oder ins Wasser tauchen wärmen nicht, das gemalte Wasser ist kühl, Farben gefrieren zu Schnee. Auch das Geschlecht der Figuren scheint unerheblich: Es sind keine Modelle deren individuelle, körperliche Merkmale in Malerei übersetzt werden, Iris Schomaker reduziert sie auf geometrische oder auch ornamentale Zeichen.
Ihr spezifischer Farbauftrag, eine Überlagerung von gemalter, eingeriebener und zerlaufener Farbe, ist eine Arbeit mit der Bildoberfläche und –tiefe, mit formelhaften Flächen, die das Bild strukturieren, und mit Schichten, die Iris Schomaker zueinander in ein Verhältnis setzt. Besonders eindrücklich wird das Mit- bzw. Gegeneinander in den neueren Landschaften. Ist durch den Regenschleier von Rainy Mountain (2008) noch eine klare Landschaftsformation zu identifizieren, so lösen sich in Cold Water (2009) oder in Seashore Green (2009) die konturierten Formationen auf und das Spiel mit Strukturen wird in farbige Schichtungen übersetzt.
Iris Schomaker hängt ihre großformatigen Landschaften aus Papier ohne Rahmen direkt auf die Wand, so dass sich die Arbeiten auf der Wand und im Raum auszudehnen scheinen. Auch die Figuren sprengen den Bildraum, denn ohne Ausnahme sind sie angeschnitten. Ihre Maße richten sich nach dem gewählten Format, das wiederum nicht groß genug sein kann.
Ikonen wird die Eigenschaft zugeschrieben, etwas mit dem Abbildcharakter der Malerei nicht Fassbares zu vergegenwärtigen und so einen Raum auszubilden. Aufgrund dieses Potentials aber unter Absehung der religiösen Implikationen, hat Dan Flavin seine Arbeiten als Ikonen bezeichnet und eine unerwartete Verbindung zwischen den reduzierten Formen der Minimal Art und tradierteren Kunstformen gezogen. Ihm geht es nicht darum, mit Licht einen Stimmungsraum zu konturieren, sondern um die schlichte Tatsache, dass das Licht seiner Objekte in den Umraum eingreift, ihn verändert und neu strukturiert. Auch Iris Schomakers Arbeiten sind in ihrer Präsenz raumbildend, ohne Rahmen brauchen sie Raum, sie wollen im und mit dem Raum gesehen werden.
Iris Schomaker arbeitet an verschiedenen Sujets gleichzeitig, wobei jeweils spezifische Fragestellungen im Zentrum stehen. Das große Format muss sein, denn genau dann entstehen diese Close ups, die aber im Gegenteil nicht jedes Detail zeigen, sondern je mehr sie gezoomt werden desto reduzierter wirken und Figuren in Landschaften überführen.
In ihren Arbeiten entstehen so Bildformeln, die Mensch, Landschaft und auch Tier miteinander verbinden. Hierbei schreckt sie auch vor einem Sujet wie dem Pferd nicht zurück, das als Thema der Genremalerei eher verrufen ist, obwohl sich eine Reihe von Künstlerinnen und Künstler auch in der Gegenwart mit ihm auseinandersetzten. Aber bereits de Kooning bemerkte angesichts seiner Auseinandersetzung mit dem weiblichen Knie, dass in der Malerei nicht alles vernünftig sein muss: „Es ist wirklich lächerlich. Vielleicht fasziniert es mich, dass es nicht getan werden soll.“
Ihre Bildsujets sind für Iris Schomaker eine Möglichkeit, die Malerei und ihr Potential der Abstraktion zu erkunden. Ihre Bildlösungen strahlen Ruhe und Distanz aus, in der Isolation der Figuren vielleicht auch gleichzeitig gegenwärtige Stimmungen sichtbar machend. Es ist die Qualität von Iris Schomakers Malerei, dass sie sich auf keine Seite schlägt.
Antje Krause-Wahl
Jasper Johns, “Untitled Statement” (1959), in Stiles and Selz, eds., Theories and Documents of Contemporary Art: A Sourcebook of Artist’s Writings (Berkeley: University of California Press, 1996), 323.
Willem de Kooning, “Contempt is a Glimpse: Interview with David Sylvester,” in Kristine Stiles and Peter Selz, eds., Theories and Documents of Contemporary Art: A Sourcebook of Artist’s Writings (Berkeley: University of California Press, 1996): 198.